(ISN). Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer will zukünftig eine Prämie für unversehrte und heil am Schlachthof ankommende Ringelschwänze zahlen.
In einer Pressemeldung seines Ministeriums ist die Rede von einer Prämie von bis zu 18 € je Schwein. Meyer will dabei Fördermittel des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) anzapfen.
Verlockendes Angebot oder blanker Aktionismus?
„Aus Sicht der ISN ist zunächst einmal Minister Meyers Erkenntnis positiv zu bewerten, dass das Thema Schwanzbeißen die Tierhalter vor große Probleme stellt. Ansonsten hätte er nicht eine Prämie in dieser Höhe ausgelobt“, kommentiert ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack die Ankündigung. „Das Angebot an die Schweinehalter hört sich auf den ersten Blick auch sehr verlockend an. Beim genauen Hinsehen ist das jedoch ein Trugschluss“, so Staack weiter. „Verglichen mit dem Straßenverkehr kommt die Prämienauslobung vielmehr einer Aufforderung zum Rasen im Nebel gleich. Da ist das Risiko eines Totalschadens wesentlich höher, als bei einer angepassten Fahrweise ohne Blick auf die Uhr.“ Unter dem Strich betreibt Meyer aus Sicht der ISN somit blanken Aktionismus.
Expertenwissen wird ignoriert
Das schrittweise Vorgehen wäre aus Sicht vieler Fachexperten der verantwortungsvollere und zielführendere Weg, denn Schwanzbeißen bei Schweinen kann trotz aller Vorsicht, ähnlich wie ein plötzlicher Wildwechsel auf der Landstraße, überall unverhofft vorkommen - und zwar unabhängig von der Haltungsform, der Betriebsgröße und Art der Bewirtschaftung. Getreu dem Motto: „Wir kennen den Weg zwar nicht, aber wir beeilen uns trotzdem“, wird man mit der vom Minister angekündigten Prämie keine echte Lösung im Sinne des Tierschutzes finden.
Gefördertes Tierleid
Es gibt schlicht und ergreifend keine sicheren und allgemeingültigen Lösungen, um Schwanzbeißen zu vermeiden. Selbst in Meyers Wunschbetrieben, wie z.B. bei Neuland und anderen vergleichbaren Programmen, ist das Schwanzbeißen bei Schweinen trotz Stroheinsatz nach Aussagen aus deren eigenen Reihen ein großes und wiederkehrendes Problem. Und nicht nur das, viel wichtiger: Meyer spielt mit dem Feuer und läuft Gefahr, zukünftig neben seinem Titel „Höfesterben-Minister“ auch noch den Titel „Minister für Tierleid“ zu bekommen. Die Prämie soll nur dann ausgezahlt werden, wenn vollständig auf das Kupieren im jeweiligen Tierbestand verzichtet wird. Zwar müssen mindestens 70 % der unkupierten Schwänze heil am Schlachthof ankommen, aber das heißt im Umkehrschluss: Bis zu 30 % der Schweine dürfen schwere Schwanzverletzungen durch gegenseitiges Beißen haben? Sieht so Tierschutz im Sinne des ELER-Programms aus?
Tierschutzplan vor dem Aus?
Dabei sollte Minister Meyer es eigentlich besser wissen: Denn die vielen laufenden - oftmals durch Steuergelder finanzierten - Projekte u.a. im Rahmen des niedersächsischen Tierschutzplanes zeigen, dass selbst die unbefriedigende Erfolgsquote von 70 % ein hochgestecktes Ziel ist und vielfach nicht erreicht wird. Meyer führt den Tierschutzplan seines eigenen Hauses somit ad absurdum. Denn während hier fachlich an Lösungen gearbeitet wird, hält Meyer es nicht für nötig, die Ergebnisse der Projekte und Beratungen der Wissenschaftler und Fachleute abzuwarten. Stattdessen verdreht der Minister wieder einmal die Fakten. Der Tierschutzplan schreibt nicht das Ende des Kupierens ab 2017 vor. Vielmehr ist dort festgelegt, dass bis dahin ein Leitfaden zur Reduzierung des Schwanzbeißerrisikos erstellt werden soll, um in der Konsequenz verantwortbar auf das Kupieren verzichten zu können. Auch in NRW wurde kein fixes Datum zum Kupierausstieg vereinbart, wie Meyer behauptet.
Abgesehen davon: Wie will Meyer das Ganze kontrollieren? Allein mit dem Zählen der Schwänze ist es sicher nicht getan. Baut Meyer seinen Kontrollapparat weiter personell aus?
Langsam herantasten – wie beispielsweise in NRW
In Richtung Kupierausstieg kann es nur einen Weg geben: Den mühsamen und langsamen Weg des betriebsindividuellen Herantastens – angefangen mit geringen Tierzahlen sowie begleitet durch die Beratung. Das zeigen alle abgeschlossenen und laufenden Untersuchungen zu dem Thema – und davon gibt es mittlerweile viele, so auch im Rahmen des niedersächsischen Tierschutzplans. Gerade in dieser Woche wurde auf einem Symposium des Düsseldorfer Agrarministeriums zum Thema Kupierverzicht unterstrichen, dass der Weg noch weit ist. Der Ausstieg kann ohne die Tierhalter nicht funktionieren. Das NRW-Schwesterministerium in Düsseldorf hat das scheinbar begriffen. Hier will man gemeinsam mit der Landwirtschaft und der Beratung Schritt für Schritt zu Lösungen kommen. Das langsame und stufenweise Vorgehen in NRW ist richtig – wohl wissend, dass auf dem Weg zum Ziel Kupierverzicht - bildlich gesprochen - möglicherweise die Fahrzeit in Abhängigkeit von der Verkehrssituation länger dauern kann.
Sorgfalt geht vor Schnelligkeit – im Sinne des Tierschutzes! Das sollte sich auch der niedersächsische Landwirtschaftsmister auf die Fahnen schreiben.