Standortpotenziale nutzen mit Know-how, innovativer Technik, ressourcenschonend und sozialverträglich – Nachhaltigkeit zu einem Markenzeichen moderner Landwirtschaft ausbauen – DLG-Präsident Bartmer vor der Presse in Münster
(DLG). „Die Weltgemeinschaft steht heute vor einer Jahrhundertherausforderung. Um dem steigenden Lebensmittelbedarf gerecht zu werden, muss nach aktuellen Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO bis 2050 die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt werden. Fruchtbare Landwirtschaftsfläche wird weltweit knapper, hier zeigen sich Auswirkungen von Zersiedelung, Produktionsfehlern und Flächenbedarf für Naturschutz. Auch ertragsbestimmende Faktoren wie Wasser und Nährstoffe geraten in manchen Regionen in Mangel. Der Klimawandel führt beispielsweise zu einer unkalkulierbaren Niederschlagsverteilung mit in der Regel negativen Auswirkungen auf das Ertragsniveau. Daher ist eine nachhaltige Produktivitätssteigerung auf den vorhandenen Gunstflächen ein dringendes Gebot“. Dies ist für den Präsidenten der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), Carl-Albrecht Bartmer, das wichtigste Fazit seiner Einschätzung der künftigen Aufgaben des Agrarsektors. „Die Wahrnehmung europäischer Verantwortung bedeutet, auch die in Deutschland und in Europa vorhandenen Potenziale zur weltweiten Ernährungs- und Energiesicherung zu nutzen“, sagte Bartmer weiter in einem Pressegespräch zum Auftakt der DLG-Wintertagung im westfälischen Münster.
Angesichts der Herausforderungen warnte Bartmer vor einem Übermaß an nicht miteinander in Einklang stehenden Regelungen im Rahmen der Agrarpolitik. Oftmals betonten sie Einzelaspekte und führten dazu, dass Ertragspotenziale in ackerbaulichen Gunstregionen nicht ausgeschöpft werden können. Für Bartmer gehören die Wirkungen dieser EU-Programme auf den Prüfstand. „Lebensmittel, die wir in Europa nicht produzieren, müssen an anderen Standorten unter häufig schlechteren natürlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen erzeugt werden, vielfach zu höheren Umweltkosten. Somit strahlen europäische Strategien auch auf die Welt außerhalb seiner Grenzen aus, seien es solche wie der Schutz und die Erweiterung von Biotopen, umfängliche mit öffentlichen Geldern finanzierte Extensivierungsprogramme in ländlichen Räumen, alternative energetische und stoffliche Nutzungen von Biomasse, auch der bewusste Verzicht auf Anwendung innovativer Technologien im Stall und auf dem Feld“. Zur europäischen Verantwortung gehört die Einsicht, dass Maßnahmen innerhalb der eigenen Grenzen immer eine globale Dimension haben, so der DLG-Präsident: Es wäre fatal, wenn man in einigen Jahren feststellte, dass „Europas Musterschülerstrategien“ dem Schutz der globalen biotischen und abiotischen Lebensgrundlagen einen Bärendienst erwiesen hätten. Und das nur, weil man Potenziale in europäischen Gunstregionen nicht genutzt und die unumgängliche Produktivitätssteigerung auf marginaleren Standorten außerhalb Europas mit unverhältnismäßig hohen Umweltkosten erkauft hat. „Angesichts des hohen Lebensmittelbedarfes können wir es uns in keiner Weltregion leisten, auf eine nachhaltige und standortangepasste Steigerung der Produktivität zu verzichten. Weltweit stehen alle Regionen – auch Europa – in einer dreifachen Verantwortung: für Welternährung, für Klima- und für Umweltschutz“, betonte Bartmer.
Europa und Deutschland müssen ihre Potenziale ausschöpfen
Mit Recht spreche der im November 2011 veröffentlichte FAO-Bericht im Kontext des Zieles gesicherte Welternährung von der Notwendigkeit einer „nachhaltigen Intensivierung“. „Auch eine hochqualifizierte, innovative Region Europa muss daraus Konsequenzen ziehen“, so Bartmer. Es müsse seine intellektuellen, infrastrukturellen und natürlichen Potenziale nutzen - im besten Sinne der Nachhaltigkeit, die nur im globalen Kontext einen Sinn ergibt. Die möglichen Ertragspotenziale sollten dabei unter Einsatz von Know-how und innovativer Technik, ressourcenschonend und unter Beachtung gesellschaftlicher Zusammenhänge ausgeschöpft werden. „Dazu bedarf es nicht zuletzt einer intensiven, interdisziplinären und länderübergreifenden Forschung“, forderte der DLG-Präsident. Auch sieht er die Lösung des Welternährungsproblems zunächst als eine Aufgabe, die in den Ländern des Mangels angegangen werden müsse. Hier seien intelligente, auf die Standorte und ihre sozialen Rahmenbedingungen ausgerichtete Produktionssysteme gefragt. Europas Verantwortung liege im fairen, unbeschränkten grenzübergreifenden Know-how- und Güteraustausch, um den „globalen Brotkorb“ gemeinsam zu füllen.
Moderne Landwirtschaft braucht den Konsens mit der Gesellschaft
Für den DLG-Präsidenten sind die weltweiten Herausforderungen nur mit einer innovativen Landwirtschaft zu bestehen, die den sich ständig weiterentwickelnden Zuwachs an Wissen und Können integriert. Hierzu sei ein belastbarer und kontinuierlicher Konsens mit der Gesellschaft über die landwirtschaftlichen Produktionsprozesse eine der Grundvoraussetzungen. Fortschritte in der landwirtschaftlichen Produktion und der Produktionsmethoden sowie ihre gesellschaftliche Bewertung müssten im Kern übereinstimmen. „Dies ist derzeit an einigen Stellen nicht mehr gegeben.“ Bartmer sieht die Herausforderung für die Branche, sich mit der abnehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz der modernen Landwirtschaft in Deutschland, insbesondere der Nutztierhaltung, auseinanderzusetzen und akzeptierte Lösungen zu entwickeln. „Dabei ist der Landwirt vor Ort der glaubwürdigste und vertrauenvollste Botschafter der modernen Landwirtschaft, denn er ist an vielen Stellen eingebunden in die sozialen Strukturen seines Umfeldes“, betonte Bartmer. Landwirte dürften sich nicht in dem Glauben, recht zu haben, hinter Stall- und Hofmauern zurückziehen, sondern müssten den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen und ihre Produktionsmethoden diskutieren und transparent machen. Dies seien eine wichtige Unternehmerkompetenz und ein Erfolgsfaktor für die zukünftige Betriebsentwicklung. Der DLG-Präsident sieht auch eine „Bringschuld der Branche“ bei der Information der Öffentlichkeit. Die Signale der Öffentlichkeit, seien sie auch aus dem Blickwinkel der Produzenten manchmal nicht nachvollziehbar, offenbarten oft ein Informationsdefizit, insbesondere in Bezug auf neue Produktionsmethoden.
Dabei trennte Bartmer zwischen den verschiedenen Formen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Diskussionen. Auf der einen Seite komme es bundesweit immer wieder zu Straftaten in Zusammenhang mit Tierschutz und Tierrecht oder bei Zerstörungen von Kulturpflanzen. Solche Fälle von Rechtsbruch müssten die in den Gesetzen vorgesehenen strafrechtlichen Konsequenzen haben. Aber das Pochen auf Recht werde nicht reichen. Die Landwirtschaft müsse sich den kritischen Fragen der Öffentlichkeit stellen, zum Beispiel nach dem Antibiotikaeinsatz, nach Zuchtzielen, nach tiergerechten Haltungs-, Fang- und Schlachtverfahren, nach Stickstoffüberschüssen, nach Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, nach Bodenerosion.
Neben den positiven Effekten der Tierhaltung in ländlichen Räumen – Wertschöpfungsaspekte, regionale weitgehend geschlossene Nährstoffkreisläufe zwischen Stall und Feld mit positiven Aspekten für die Bodenfruchtbarkeit – stünden gerade in sehr wettbewerbsfähigen Tierhaltungsregionen auch negative Effekte, wie Emissionen in Luft und Wasser. Bartmer forderte für diese Diskussion eine sachliche Debatte ein, bei der eine wissenschaftlich fundierte Analyse an die Stelle emotionaler Betroffenheit tritt und die sich an den Bedürfnissen der Nutztiere ausrichtet.
Auf Basis der Nachhaltigkeit Brücken zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft bauen
„Wir sollten eine nachhaltige Landwirtschaft anstreben, in der messbare Indikatoren alle drei Säulen der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und soziale Aspekte beschreiben“, sagte Bartmer. Mit dem DLG-Nachhaltigkeitsstandard und den damit in Verbindung stehenden Projekten habe die DLG in den vergangenen Jahren bereits eine hervorragende fachliche Grundlage geschaffen, auf der aufgebaut werden könne. Weitere fachliche Aktivitäten werden hieran anknüpfen. In den Gesprächen und Diskursen mit Einzelpersonen und gesellschaftlichen Gruppen sollten Kriterien der Nachhaltigkeit ein Leitfaden sein. Ideal wäre es, wenn Nachhaltigkeit zu einem Markenzeichen der modernen Landwirtschaft ausgebaut werden könne. Die dafür entwickelten Indikatoren würden dabei eine noch bessere Steuerung und Optimierung der Produktion zulassen. „Auf dieser Basis ist dann eine bestmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit möglich. Und auf dieser Basis kann dann eine fundierte und auf Verbesserung der Situation zielende Diskussion geführt werden“, erklärte der DLG-Präsident.